Die neuen Marienfenster
von Katharina Beilmann (1995)

Stellungnahme zu den Entwürfen
der Kommission für Bau-, Kunst-
und Denkmalpflege im Bistum Essen

Katharina Beilmann (Inhaltliche Deutung)

Beitrag von Herbert Fendrich
dem Bischöflichen Beauftragten für Kirche und Kunst
im Bistum Essen

 

Kommission für Bau-, Kunst- und Denkmalpflege im Bistum Essen

Stellungnahme zu den Entwürfen

(Essen, den 18.10.1994)

"In kraftvoll dynamischer Formsprache und Farbwahl stellt die Künstlerin den Menschen unter Menschen dar: das ist Maria - ohne besondere Attribute oder Akzente, ohne traditionelle Erkennungszeichen; außer, daß sie im 2. Bild Wasser schöpft und damit den Mitmenschen dient.

Die Realisierung der Fenster wird seitens der Kunstkommission mit ganzer Zustimmung empfohlen".

Dr. - Ing. H. Dohmen

Diözesanbaumeister

 

 

 

 

Katharina Beilmann: Inhaltliche Deutung

Bedeutend für die Marienfenster war mir die Darstellung von Maria als "Frau unter Frauen"; als eine Persönlichkeit, welche über ihre historische Bedeutung hinaus auch heute Wirkungsweise besitzt, so weit man sie in seinem Inneren leben läßt.

Ein Vorbild der Geduld, des Bewahrens, des Tragens, Ertragens, des Hingebens und Spendens ist Maria sicherlich immer gewesen.

Ihrem BILD einen zeitgenössischen Aspekt einzufügen: den des Auf-Stehens, nach vorn Blickens, bewußt und aktiv ihre Fähigkeiten einsetzend; ein Bild des Beistandes und der Ermutigung für Frauen und Mütter zu schaffen..., all dies spielte eine Rolle.

Bei der Entwurfs-Arbeit war ich bemüht, zwei verschiedene Wesensmerkmale von Maria hervorzuheben:

links - Maria als Empfangende und wiederum Gebende, was ein mehr seelischer Aspekt ist;

rechts - Maria als bewußte, entschlossene Persönlichkeit, was ihrem geistigen Status entspricht.

Aus diesem Grunde ist das linke Fenster ganz in fließenden Formen, Bögen und vorwiegend gerundeten Flächen und Schwüngen gehalten.

Die Geste Marias, welche Wasser in Krügen sammelt, das dem Himmel entspringt, und dieses im unteren Bildteil spiegelbildlich verschüttet, symbolisiert die Eingebundenheit des Menschen in "Himmel und Erde" im weitesten Sinne.

Daß Maria in diesem Bild kniet, zeigt einerseits eine dienende Haltung, andererseits auch VERTRAUEN: Sie schöpft das "himmlische Wasser" im Vertrauen auf Sinn und Richtigkeit dieses Nehmens und Gebens. Sie ist versunken in ihre Tat.

Von Versenkung kann im rechten Bild nicht gesprochen werden: Maria ist aufgestanden und zeigt ihr Antlitz. Einem Entschluß folgend blickt sie gleichsam über den Betrachter hinweg und verbindet so ihre Sicht mit dem, was "hinter" uns steht, was sich unserem eigenen Blick jedoch oftmals entzieht.

Sie faßt nach den Säumen ihres Mantels und breitet ihn aus: Maria fordert auf zu erkennen und schützt uns zugleich. Sie gibt mit ihrer Geste Anlaß, auch als vollbewußter Mensch zu vertrauen, nicht zu zweifeln. Aber in ihrer Haltung liegt selbst etwas Schutzbedürftiges: ihre Kraft "heute" ist abhängig von unserer Überzeugung.

Die Hintergrundgestaltung ist nicht fließend wie im linken Bild, sondern kristallin, geometrisch, klar - wie ein Gedanke.

In beiden Motiven wird Maria begleitet von Frauen, welche in ihrer Nähe Bestärkung erfahren und ihrem Vorbild folgen wollen.

Ich habe die Farbigkeit der Fenster bewußt reduziert auf die Marien - Farben ROT und BLAU, sowie SCHWARZ und WEISS: das Weiß als Leer - Raum innerhalb der Figuren bietet Raum für die Frage nach der Identität Marias "heute".

Wesentlich an der zeichnerischen Gestaltung war mir der "Fenstercharakter" der Bilder: man blickt tatsächlich wie durch ein Fenster auf die motivische Erscheinung draußen: die Bilder haben keinen Rand, kein Ende, d.h. sie sind Teil eines "Bildes", welches der Betrachter fortdenken kann. Was mag sich wohl rechts und links, oben und unten, an das sichtbare Bild anschließen?!

Wo endet das Bild? Wo enden seine in der Phantasie fortgeführten Linien?

Steht am Ende der Betrachter selbst in einem räumlichen Ge-BILD-e, dessen Bestandteil er ist?

Die Realität der Fensterbilder erneuert sich auf diese Weise mit jedem neuen Menschen, der sich innerlich in sie hineinbegibt.

Das wiederum ist ein prozeßhaftes, künstlerisches Element, welches der Betrachter hinzufügt, dort, wo ich meine Aufgabe als Malerin abgeschlossen habe.

 

 

 

 

Beitrag von Herbert Fendrich
zur Deutung der Marienfenster

(vom 18. Juli 1996)

Lieber Herr Pfarrer Bühlbecker,

Sie haben mich um einen Beitrag, eine "Interpretation" zu den neuen Marienfenstern von Katharina Beilmann in Ihrer Kirche gebeten.

Ihrer Bitte nachzukommen ist aus vielerlei Gründen gar nicht so einfach. Ein Problem ist die Form meines Beitrages. Ich möchte nicht gerne so etwas wie eine "amtliche", abschließende Deutung Ihrer Fenster liefern. So etwas geht auch gar nicht. Und dann habe ich, wenn ich mich äußere, am liebsten einen konkreten Adressaten vor Augen, den ich direkt ansprechen kann.

Also habe ich mich entschlossen: mein Beitrag ist dieser Brief an Sie. Ich will Ihnen etwas von dem mitteilen, was mir beim Betrachten Ihrer neuen Fenster durch den Kopf geht. Besser: durch die Augen. Oder sogar: durchs Herz. Und Ihre Gemeinde kann dann ruhig nachlesen, was der "Bischöfliche Beauftragte für Kirche und Kunst" dem Pastor so zu sagen hat.

Können Sie sich noch erinnern? Im Februar habe ich die Fenster in Ihrer Kirche zum ersten Mal "fertig" an ihrem Platz gesehen. Frau Beilmann und Sie guckten mich erwartungsvoll und gespannt an: Was wird der Fendrich jetzt wohl sagen? Es hat ein Weilchen gedauert - "Sehen" und das Gesehene zur Sprache bringen braucht seine Zeit - bis ich meine ersten Eindrücke formulieren konnte. Als erstes - glaube ich - habe ich über die Veränderung des Raumes gesprochen. Und das scheint mir auch das Wichtigste zu sein: vor aller Wahrnehmung von Einzelheiten, vor allem Nachdenken und Interpretieren, gibt es eine mehr emotional bestimmte Erfahrung, eine innere Bewegung. Die ist häufig entscheidend, auf sie kommt es an. Die Wirkung der Formen und Farben "tat mir gut", ich fühlte mich hier - in diesem Seitenbereich Ihrer Kirche - besonders wohl. Ich dachte auch: Ja, hier könnte man beten.

Ich hoffe, Sie verstehen mich hier richtig: Ich weiß natürlich - als Theologe -, daß man immer und überall beten kann. Aber es gibt eben auch "klimatische Bedingungen", die günstig sind und die es gerade in einer Kirche geben sollte. Für die Ohren kann das Musik sein - oder auch Stille - und für die Augen das, was ein gutes Kunstwerk oder gute Architektur vermitteln können. Ich habe ein wenig die Sorge, daß die Bedeutung solcher "klimatischer Bedingungen" in unseren Kirchen und Gemeinden unterschätzt wird. Man meint, da käme es im wesentlichen auf Heizung und Belüftung an; "sinnliche" Erfahrungen seien nicht so wichtig in der Kirche. Dabei heißt es in dem alten Pfingsthymnus "Komm, Schöpfer Geist" in der vierten Strophe: Accende lumen sensibus. Der fromme schlesische Dichter Angelus Silesius hat das schön übersetzt: Zünd unsern Sinnen an dein Licht! Mit anderen Worten: Gute Kunst und gute Künstler: das sind sozusagen Erfüllungsgehilfen des Heiligen Geistes.

Wenn die Fenster so wahrgenommen würden, wie ich es gerade beschrieben habe, würde das eigentlich schon genügen. Aber man kann sich natürlich auch fragen: Wie kommt denn das? Wie machen "die Fenster" das? Wie erzielen sie ihre Wirkung auf die Gefühle, die Stimmung? Insbesondere ist es ja mein Beruf, auch darüber noch nachzudenken, zu analysieren. Der berühmte Germanist Emil Staiger hat diese Aufgabe des "Wissenschaftlers" kurz und sehr treffend benannt: Er soll "begreifen, was uns ergreift". Wobei zur Kunst selbstverständlich immer dazu gehört, daß es auch "Unbegreifbares", Unbeschreibliches gibt. (Kleine Zwischenbemerkung "unter uns": Merken Sie, daß es wesentliche Ähnlichkeiten zwischen der Arbeit eines Kunsthistorikers und der eines Theologen gibt? Das Nachdenken über Gott und das Nachdenken über Kunst sind miteinander verwandt. Das heißt auch: man kann das eine am anderen üben!)

Beim Nachdenken über die Wirkung der Fenster von Katharina Beilmann, über ihre Schönheit, kam mir ein Begriffspaar in den Sinn: Kontrast und Kongruenz. Ich will Ihnen kurz erläutern, was ich damit meine.

Was empfinden wir als "sinnlich" reizvoll, schön, harmonisch? Weder die Gleichförmigkeit, noch das chaotische Durcheinander, weder die ständige Wiederholung, noch das penetrant "immer wieder anders". Sondern ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Gegensätzen und Übereinstimmungen, auch zwischen Gewohntem und Ungewohntem, Erwartetem und Unerwartetem. Und ich glaube, daß die Fenster genau das leisten. Ich nenne mal nur einiges: Da ist der Kontrast von Blau und Rot, der ständig wiederholt und variiert wird; er enthält auch die Spannung von Kalt (blau) und Warm (rot). Dunkel und Hell spielen natürlich eine zentrale Rolle, gerade auch, weil ein Fenster so etwas wie ein Licht-Bild ist.

Für ein religiöses Bild ist es m.E. auch grundlegend wichtig,

daß es "Realistisches" und "Ungegenständliches" gibt; Kunsthistoriker würden vielleicht von "figurativ" und "abstrakt" sprechen. Ich kann mir gut vorstellen, daß gerade dies vielen Betrachtern, die mit moderner Kunst und ihren Ausdruckselementen nicht so vertraut sind, befremdlich oder irritierend erscheint. Aber ich sage da mal ganz entschieden: Realismus pur darf es in religiöser Kunst überhaupt nicht geben. Es geht doch da um "Unsagbares", um das ganz "Andere", das nicht von dieser Welt ist; um Spuren einer ganz anderen Wirklichkeit, die sich allem Begreifen - und Abbilden-Können entzieht. Ich hoffe, Sie verstehen, was ich meine: die "abstrakten" Elemente in den Fenstern sind nicht bloße Dekoration oder "modernes", unverbindliches Formenspiel, sie haben einen thematischen Sinn.

Ich weiß nun nicht, ob ich bisher Ihre Geduld sehr strapaziert habe. Ich habe ja nur sehr Allgemeines gesagt, grundsätzlich über die "ästhetischen Qualitäten" gesprochen. Aber wie schon gesagt: Ich halte das für das Entscheidende. Ich glaube, in erster Linie will das auch ein Künstler: zunächst mal ein gutes Kunstwerk machen. Und nach meiner Erfahrung ergibt sich dann das thematisch und inhaltlich Sinnvolle wie von selbst.

Zu inhaltlichen Deutungen hat Katharina Beilmann selbst m.E. sehr fruchtbare Wege in ihrem Beitrag eröffnet. Die Gefahr - die ihr selbst wohl ganz klar ist - ist die, daß man dabei zuviel festlegt, fest-schreibt. Deswegen betont sie am Ende ihrer Ausführungen auch mehr die "Leerstellen", die Offenheit ihres Werkes, die Anforderung an den Betrachter, die Vor-Gaben der Fenster selbst produktiv weiterzuführen. Katharina Beilmann sagt: "fortdenken", aber man sollte das nicht bloß intellektuell verstehen. Paul Cezanne, einer der Väter der modernen Kunst, hat einmal sehr schön gesagt: "Der Inhalt unserer Kunst liegt primär in dem, was unsere Augen denken". Wenn eine Künstlerin "mit den Augen denkt", dann könnte das der Betrachter ja auch versuchen.

Katharina denkt also mit den Augen über Maria nach. Dabei entstehen sehr ungewöhnliche Bilder, Gott sei Dank. Denn die "gewohnten" Bilder fordern uns doch gar nicht mehr heraus, da sehen wir gar nicht mehr richtig hin. Deja vu, sagen die Franzosen. Schon gesehen, abhaken. Schon insofern muß man Katharina Beilmann dankbar sein; sie hält das Nachdenken über Maria und darüber, was sie uns bedeuten kann, lebendig. Und sie erliegt dabei m.E. nicht der Gefahr, über die Maßen zu idealisieren und die Gestalt Mariens zu entrücken.

Mir fallen in diesem Zusammenhalt Überlegungen ein, die ich Ihnen etwas ausführlicher zitieren will (von wem sie stammen, verrate ich Ihnen später):

"Wie gerne wäre ich Priester gewesen, um über die seligste Jungfrau zu predigen!... Man dürfte nicht unwahrscheinliche Sachen über sie erzählen....Damit eine Predigt über die seligste Jungfrau Frucht trägt, müßte sie ihr wirkliches Leben aufzeigen...und man errät doch gut, daß ihr wirkliches Leben, in Nazareth und später, ganz gewöhnlich gewesen sein muß....Man zeigt uns die seligste Jungfrau unerreichbar, man müßte sie nachahmbar zeigen....man müßte sagen, daß sie wie wir aus dem Glauben gelebt hat....

Es ist gut und schön, von ihren Vorzügen und Vorrechten zu reden, aber man darf sich nicht darauf beschränken. Man muß so reden, daß die Menschen sie lieben können. Wenn man bei einer Predigt über die Mutter Gottes von Anfang bis zum Ende gezwungen wird, vor Staunen nach Luft zu schnappen - lauter Ach! und Oh!-, hat man bald genug, und das führt weder zur Liebe noch zur Nachahmung".

Klingt ziemlich modern, nicht wahr? Das Mädchen, das das geschrieben hat, ist eine Heilige, Sie werden es kaum glauben: die (kleine) Therese von Lisieux.

Also: ich meine, daß die Fenster mit der Grundaussage "Maria - Frau unter Frauen" in diesem Sinne eine wirklich gute Marienpredigt sein können. Sie regen dabei das Nachdenken über das eigene Mensch-Sein an. Sie zeigen, daß scheinbar widersprüchliche Eigenschaften zusammengehören: "Demut" und "aufrechter Gang", "Schwäche" und "Stärke", Nachgiebigkeit und Entschiedenheit, Hingabe und Fordern, Kontemplation und Aktion.

Lieber Herr Pfarrer Bühlbecker, ich hoffe, daß Sie mit diesem "Beitrag" etwas anfangen können. Lassen Sie es mich bei Gelegenheit wissen! Vielleicht können Sie meine Überlegungen auch Frau Beilmann zukommen lassen. Grüßen Sie sie recht herzlich! Und seien Sie selber herzlich gegrüßt!

Ihr

Herbert Fendrich